Historische Entwicklung des Ortsmittelpunktes von Geinsheim
In einem Dreistufenplan wird der Gesamtbereich zwischen der Kirche inklusive Pfarrgarten und dem Platz vor dem "Alten Schulhaus" einschließlich des Verkehrsknotenpunktes Gäustraße (ehemalige Bundesstraße) und Geitherstraße umgestaltet. In der ersten Stufe wurde der Vorplatz vor dem "Alten Schulhaus" mit einer neuen Pflasterung versehen und die Bushaltestelle behindertengerecht ausgebaut.
Die vorgesehene Umgestaltung des Ortsmittelpunktes nimmt der Heimatverein zum Anlass, mit historisch wertvollen Bildern den Werdegang des Dorfzentrums im Verlauf der letzten 150 Jahre zu dokumentieren. Die Beschreibung erfolgt in Zeitabschnitten, die geprägt sind durch den Neubau der Kirche in den Jahren 1870 bis 1873, den Bezug des neuen Schulhauses 1878/79, den Abriss des Alten Rathauses 1879, den Bau des Kriegerdenkmals 1907, die Sanierung der Kirchenfassade 1959 bis 1961 und die Umgestaltung des Vorplatzes vor dem Alten Schulhaus 2019.
Die nachstehende Bilderserie wird von Karl Linnenfelser sukzessive ergänzt und mit Erläuterungen versehen.
Quellen: Die Bilder stammen aus dem Fundus des Vereins für Heimatpflege e. V. Geinsheim, die Texte sind u. a. aus den Schriften von Norbert Kästel entnommen (diverse Schriften siehe unter <Publikationen>).
Alter Ortsmittelpunkt vor Abriss des Alten Rathauses von 1594
Das 1594 erbaute Rathaus
In der Ortsmitte von Geinsheim wurde 1594 nördlich des Kirchhofs ein stattliches Rathaus erbaut. Die in direkter Nachbarschaft stehende Kirche war fast 100 Jahre zuvor auf einem bis dahin unbebauten Platz errichtet worden. Von dieser Kirche sind der heutige alte Chor mit Sakristei und der mächtige Glockenturm erhalten. Sie wurden 1870 bis 1873 in den Kirchenneubau integriert.
Das vermutlich von der Verwaltung des Hochstifts geplante Rathaus war sicher unter hohem Einsatz der Bevölkerung erbaut worden. Das Erdgeschoss des Rathauses war aus Bruchsteinen errichtet. Es besaß an drei Seiten profilierte Sandsteinbögen, die zum Teil mit Pflanzenornamenten und Rauten geschmückt waren. In der halb offenen Halle fanden die Gemeindeversammlungen statt.
Das Obergeschoss und die Giebel waren in reichem Fachwerk aus Eichenholz errichtet. Im ersten Obergeschoss befanden sich ein Verwaltungsraum mit Schreibstubeninventar und ein größerer Raum für Veranstaltungen. Davon wurde 1836 notdürftig durch eine Trennwand ein dritter Unterrichtsraum abgetrennt, nachdem für die angestiegene Anzahl an Schülern eine dritte Schulstelle notwendig geworden war. Für den dritten Schulmeister ließ man im zweiten Obergeschoss eine Dachwohnung herrichten. An das Rathaus angebaut war eine Wachstube für den Nachtwächter, vermutlich mit einer "Betzenkammer", die als Haftzelle diente.
Nach jahrelangen kontroversen Diskussionen wurde gegen heftigen Widerstand auch des Historischen Vereins der Pfalz das historische Rathaus 1879 zum Abriss versteigert. Steigerer war der damalige Besitzer der Fronmühle, die 1868 ein Raub der Flammen geworden war. Das massive Gebälk wurde zum Neubau eines mächtigen Wagenschuppens mit Fachwerksaufbau in der Mühle verwendet. An der östlichen Giebelseite und an den Eckpfosten sind noch heute die aufwendigen Schnitzereien zu erkennen.
Neuer Kirchenbau: 1870 bis 1873 erbaut
Am Ende des 18. Jahrhunderts war die um 1500 errichtete gotische Kirche für die stark wachsende Geinsheimer Pfarrgemeinde zu klein geworden. Die Planungen zum Bau einer weit größeren Kirche unter Einbeziehung des alten Chores und des Glockenturms wurden frühzeitig angestoßen. Die Erlangung einer Baugenehmigung gestaltete sich jedoch sehr schwierig. Erst mit einem Schreiben vom 26. August 1860 direkt an König Maximilian II. Joseph von Bayern konnte ein positiver Bescheid erreicht werden.
Streitpunkt bis kurz vor Baubeginn war die grundsätzliche Planung des Neubaus. Der "Fabrikrath der katholischen Kirche" wollte eine Verlängerung des ursprünglichen Kirchenschiffs nach Abriss des alten Chors. Die politische Gemeinde und die vorgesetzten Verwaltungen bestanden jedoch auf dem Erhalt des historisch wertvollen Gebäudeteils.
Kaum hatten die Bauarbeiten begonnen, brach am 19. Juli 1870 der Deutsch-Französische Krieg (1870/71) aus, nach dessen Ende Otto von Bismarck erster Kanzler des neu gegründeten Deutschen Reiches wurde.
Die politischen Ereignisse hatten Auswirkungen auch auf wirtschaftlichem Gebiet und führten zu hohen Anstiegen der Baukosten. Unter großen Anstrengungen wurde die neue Kirche im April 1873 "glücklich" vollendet.
Schildwirtschaft "Zum Löwen"
Das gegenüber der Kirche gelegene stattliche Wohnhaus, im 18. und 19. Jahrhundert Gasthaus "Zum Löwen", stammt aus der Barockzeit (18. Jahrh.) und war größtenteils in Bruchsteinmauerwerk errichtet. Ein rückwärts sich anschließender Fachwerkbau ist wohl das älteste weltliche Bauwerk in Geinsheim. Der Fachwerkbau ist unterkellert und besitzt ein sehr schönes Fachwerk. Auf einem mit Schnitzwerk versehenen Fenster-rahmen ist die Jahreszahl "1683" und der Name "Andreas Appel" eingeschnitzt worden.
Das Haus "Zum Löwen" ist das Elternhaus von Theodor Friedrich Schneider (* 1703), Jesuit, Professor an verschiedenen Hochschulen und Rektor der Universität Heidelberg. Im Jahr 1741 kam er als erster deutscher Missionar nach Pennsylvanien. Seit Mai 2017 trägt ein Platz in der Ortsmitte den Namen "Pater-Theodor-Schneider-Platz".
Im Anbau des ehemaligen Gasthauses zum Löwen standen den Gästen 16 Zimmer als Unterkunft zur Verfügung. Dieser Anbau birgt für den Nichteingeweihten ein seltsames Geheimnis. Über dem Keller und unter den darüber liegenden Zimmern bilden zwei im Abstand von einem halben Meter eingezogene Holzdecken einen "Geheimraum". In den häufigen Kriegszeiten konnte er wohl als Versteck genutzt werden.
Der Schlussstein des Türbogens über der Kellertreppe zeigt einen aufgerichtet schreitenden, gekrönten Löwen, der eine Rebe mit Traube hält. Man kann anzunehmen, dass es sich um das Hauszeichen handelt.
In dem geräumigen Anwesen gab es früher auch Stallungen für die Reit- und Zugpferde sowie genügend Platz für die Gefährte der reisenden Gäste.
Hofhaus der Dompräsenzgüter
Im 17. und 18. Jahrhundert gehörte das auf dem Platz östlich der Kirche gelegene Anwesen zum sog. Rittergut, das im Laufe der Zeit Eigentum von verschiedenen Adelsfamilien war. 1743 kam das "Lüderitzische Gut" in das Eigentum des Speyerer Domkapitels, das bald beschloss, ein "steinernes Hofhaus" errichten zu lassen. Man kann davon ausgehen, dass das Gutshaus mit den Wirtschaftsgebäuden im Jahr 1746 errichtet wurde.
Das ehemalige "Hofhaus der Präsenzgüter" des Speyerer Domkapitels ist insgesamt eine der großzügigsten bäuerlichen Hofanlagen in Geinsheim und steht seit 1985 unter Denkmalschutz.
Im Jahr 1798 wurden u.a. alle Güter, welche bisher der Geistlichkeit gehört hatten, französisches Nationaleigentum. Nach und nach wurde dieses Nationalgut dann an Privatpersonen veräußert. So kam auch der "Dom-Freihof" je zur Hälfte in Privatbesitz.
Schul- und Gemeindehaus von 1878; Aufnahme um 1915
Der in französischen Diensten unter Napoleon zum Brigadegeneral ernannte Michael Geither hatte nach seiner Niederlassung in Geinsheim finanzielle Mittel für den Bau eines Veteranenheimes bereitgestellt. Sein Sohn Adolf Geither wandelte später das Legat seines Vaters um zu Gunsten der Gemeinde Geinsheim. Der Gemeinderat nahm das Legat an, beschloss aber in dem Schulhaus noch Platz zu schaffen für die Gemeindeverwaltung, einen Gemeindesaal und eine Lehrerwohnung.
Im Frühjahr 1878 wurde mit dem Bau des Schul- und Gemeindehauses begonnen, und noch im Schuljahr 1878/79 konnten die drei Schulklassen im Obergeschoss des Neubaus ihre Säle beziehen. Das Gebäude diente bis 1965 als Schulhaus.
Die das Ortsbild prägende Linde wurde zur Feier des 70. Geburtstages Luitpold von Bayern im Jahr 1891 von der Gemeinde Geinsheim vor dem Eingang zum Schul- und Gemeindehaus gepflanzt, die über die Jahrzehnte von der Bevölkerung als "Luitpold-Linde" bezeichnet wurde.
Luitpold Karl Joseph Wilhelm, Sohn des bayerischen Königs Ludwigs I. wurde am 12. März 1821 in Würzburg geboren. Im Jahr 1886 übernahm er zunächst die Regentschaft für drei Tage für seinen Neffen König Ludwig II., dann für dessen geisteskranken Bruder Otto I. Mit Leutseligkeit und Volksnähe gelang es dem Regenten, die Sympathien der Bevölkerung zu gewinnen. Nach 26 Regierungsjahren starb Prinzregent Luitpold am 12. Dezember 1912 in München.
Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts fällte ein Sturm die ortsbildprägende Linde.
Ortsmittelpunkt in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts
Dorfmittelpunkt um 1895
Die um 1895 entstandene Fotografie von der Kirche aus in Richtung Norden gibt den Blick frei auf stattliche Häuser im Ortsmittelpunkt. Nachdem bereits 1891 die
Weede, eine teichartige Abzweigung des Dorfbachs in der damaligen Böhlgasse, zugeschüttet worden war, wurde 1910 auch die vor dem Schulhaus aufgestellte Brunnenanlage entfernt. Über die
Gründe dieser "Umgestaltung" des Vorplatzes vor dem Schulhaus kann nur spekuliert werden.
Im Hintergrund ist die nicht mehr vorhandene große bäuerliche Hofanlage, Wohnsitz des Johann Jakob Rhein, Bürgermeister von 1843 bis 1868, zu erkennen. Rechts im Vordergrund ist das Anwesen der Familie Eisenbiegler, (heute Sturm) abgelichtet. Dem Zeitgeist entsprechend ist das Balkenwerk der Fachwerkhäuser durch einen Außenputz überdeckt. Den ursprünglichen Zustand der Fachwerkhäuser dokumentiert das nachstehende Bild.
Sowohl das stattliche Haus der Familie Eisenbiegler (rechts im Bild) als auch das Anwesen des Johann Jakob Rhein, später nach der dort lebenden Witwe Anna Maria Öhlgötz geb. Mohr auch das "Öhlgötz'sches Haus" genannt, mit dem charakteristischen Torbogen, hatten einst das Ortsbild mit dem dorftypischen Fachwerk stark mitgeprägt. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts fiel das Anwesen leider der Spitzhacke zum Opfer. Mit dem Abriss der Anlage wurde Platz für den Zugang zum Neubaugebiet Birkig geschaffen. Erhalten wurde das "Gemäuer" - Sandsteinwände in Form eines offenen Vierecks, als Restbestand früherer Wirtschaftsgebäude - das in die Zugangsstraße zum Birgig integriert wurde.
Bau des Kriegerdenkmals 1907
An hervorragendem Platz in Ortsmitte vor dem Alten Chor der Kirche errichteten die Gemeinde Geinsheim und der Kriegerverein 1907 das sogenannte Kriegerdenkmal.
Der Inschrift an der Vorderseite des Denkmals entsprechend sollten die Geinsheimer Veteranen der beiden Kriege von 1866 und 1870-71 geehrt werden. Auf drei an den restlichen Seiten angebrachten Tafeln sind die Namen der an den Kriegen beteiligen 45 Kriegsveteranen und der jeweiligen militärischen Einheit verzeichnet.
Im bayerischen Heer dienende Geinsheimer Soldaten hatten im Deutschen Krieg 1866, dem Bruderkrieg zwischen Österreich und dem siegreichen Preußen, auf Seiten der Verlierer gekämpft. Im Deutsch/Fran-zösischen Krieg von 1870/71 standen Bayern und die süddeutschen Staaten auf der Seite Preußens und des Norddeutschen Bundes. Deren Sieg über Frankreich führte schließlich zur Gründung eines neuen Deutschen Reiches und zur Ausrufung des Preußenkönigs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser im Spiegelsaal von Versailles. Die Gründung des Zweiten Deutschen Reiches löste in ganz Deutschland eine über Jahrzehnte andauernde nationale Begeisterung und einen damit einhergehenden Sodatenkult aus.
Einweihung des Kriegerdenkmals
In diesem Geiste entstanden überall im Reich Krieger- und Soldatenvereine, und zahlreiche Kriegerdenkmäler wurden errichtet. Auch in Geinsheim schlossen sich nach 1871 die ehemaligen Soldaten , die an den Kriegen 1866 und 1870/71 teilgenommen hatten, zu einem solchen Verein zusammen, "der die Aufgabe hatte, das kameradschaftliche Leben der Männer zu pflegen und ihren soldatischen Geist zu hegen", wie der Lehrer Ludwig Rössler schrieb.
Am Sonntag, den 7. Juli 1907 fand die Einweihung des Denkmals "unter Beteiligung von etwa 30 auswärtigen Vereinen" statt. Die zahlreichen Mitglieder des Kriegervereins posierten bei den Feierlichkeiten stolz vor dem Denkmal für den Fotografen, ebenso wie die festlich gekleideten Ehrenjung-frauen.
Schon bald nach Errichtung wurde das Kriegerdenkmal mit einem schmucken eisernen Staketenzaun, bei dem sich an der Vorderseite zwei Türchen öffnen ließen, eingefasst. Der Zaun musste aber zu Beginn des Ersten Weltkriegs zu Kriegszwecken abgebaut und abgeliefert werden. Ein zweites eisernes Geländer wurde für den Zweiten Weltkrieg geopfert.
Hauptstraße mit Blick auf das Krieger-denkmal in der 60er Jahren
Die Hauptstraße zum Dorfmittelpunkt aus östlicher Richtung war bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts visuell geprägt durch den Straßenbelag mit Kopfsteinpflaster und das "Dorfbächel", ausgebaut mit massiven Sandsteinquadern. Durch diesen künstlich angelegten Bach wurde Wasser aus dem Krobsbach/Altenbach über das Maxwehr in das Dorf umgeleitet.
Im Jahr 1824 beschloss die Gemeindeverwaltung, "zum Gedächtnis des Jubiläums Seiner Majestät des Königs am 16. Februar den durch den Ort fließenden Bach in Quader zu legen und die noch nicht gepflasterten Teile in der Gemeinde pflastern zu lassen". Die Gemeinde Geinsheim hatte keine Mühen und Kosten gescheut, die künstlich angelegte Dorfbachanlage auszubauen und in Ordnung zu halten. So wurde in den Jahren 1824 und 1825 "die Dorfbach" in große Steinquader gelegt und das Wehr an der Scheid im Kropsbach erneuert.
Dieses Bauvorhaben hielten die Verantwortlichen der Gemeinde Geinsheim wohl für ein solch bedeutendes Ereignis, dass sie damit den König Maximilian I. von Bayern ehren wollten. Dessen 25jähriges Regierungsjubiläum war am 16. Februar 1824 im ganzen Königreich festlich begangen worden. Aus diesem Anlass erhielt die Schließe am Anfang des Dorfbaches den Namen Maxwehr.
Dem Bild ist zu entnehmen, dass das Kriegerdenkmal bereits in den 60er Jahren mit einer Sandsteinmauer umgeben und zum Dorfbach abgetrennt war.